Bei der Erstellung des Neunten Altersberichts hat die Kommission zu einzelnen Berichtsthemen schriftliche Gutachten eingeholt. Diese Expertisen haben die Diskussionen der Kommission inspiriert und vorangebracht; Erkenntnisse aus den Expertisen sind an mehreren Stellen in den Altersbericht eingeflossen.
Die zum Neunten Altersbericht erstellten Expertisen und weitere Veröffentlichungen sind hier zum Download bereitgestellt.
Expertisen zum Neunten Altersbericht
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Definition eines Rassismusbegriffs
Muna AnNisa Aikins (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung)
Die vorliegende Expertise führt in den Rassismusbegriff ein, beginnend mit einer Definition von Philomena Essed und dem Fokus auf konstruierte Hierarchien der Wertigkeit. Esseds Verständnis von Rassismus dient dann als Ausgangspunkt für die Betrachtung von Mechanismen wie Entmenschlichung durch Rassifizierung sowie strukturellen Machtdynamiken. Anschließend wird die Verschränkung von Rassismus und Altersdiskriminierung kurz angeschnitten. Abschließend wird die Schärfung des Rassismusbegriffs als Schlüssel für ein tieferes Verständnis seiner Vielschichtigkeit und systemischen Erfassung hervorgehoben.
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Medizinische und pflegerische Versorgung im Alter: Literaturrecherche und -analyse
Dr. Andrea Budnick (Charité – Universitätsmedizin Berlin)
In der Expertise wird anhand aktueller Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung in Deutschland aufgezeigt, dass nach wie vor Wartezeiten, Zuzahlungen, lange Wegstrecken oder eine mangelnde Verfügbarkeit medizinischer Angebote Zugangsbarrieren zur medizinischen Versorgung darstellen. Während im ländlichen Raum eher Wegstrecken eine Barriere darstellen und ältere Frauen stärker benachteiligt sind als Männer, sind es im urbanen Raum eher längere Wartezeiten. Bekanntermaßen müssen gesetzlich Versicherte eher längere Wartezeiten in Kauf nehmen als privat Versicherte. Zudem wird der Hausärztemangel fortschreiten. Für ältere Menschen (≥ 75 Jahre) gibt es einen ungedeckten medizinischen Versorgungsbedarf.
Außerdem wird auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse zur pflegerischen Versorgung erneut belegt, dass in der Bevölkerung die häusliche Versorgung gegenüber der stationären Langzeitversorgung präferiert wird. Die Inanspruchnahme ambulanter pflegerischer Versorgung wird dabei nicht nur durch individuelle Bedarfe, sondern auch durch sozioökonomische und kulturelle Faktoren beeinflusst. Die 24-Stunden-Pflege beispielsweise wird primär von höheren Statusgruppen genutzt. Zur Bewertung der Qualität der ambulanten Pflege muss ein Konzept zu ihrer Erfassung entwickelt werden, das die Komplexität (familiäre & formelle Pflege) des Settings berücksichtigt. Hinsichtlich der stationären Langzeitpflege, wird die gültige Bemessungsgrundlage des Medizinischen Dienstes zur Bewertung der Versorgungsqualität als unzureichend kritisiert. Angesichts komplexer Einflussfaktoren wird vielmehr ein systemischer Ansatz gefordert.
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Altwerden in Deutschland – Potenziale und Teilhabechancen. Alternsprozesse im Migrationskontext
Dr. Adriana R. Cardozo Silva (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW Berlin)
In der vorliegenden Expertise werden die Verflechtungen von Migration, Alter und Teilhabe anhand ausgewählter Teilhabedimensionen betrachtet. Dazu werden Daten der IAB-SOEP-Migrationsstichproben ausgewertet. Die IAB-SOEP-Migrationsstichproben werden seit 2013 vom IAB und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) durchgeführt und bieten eine Datenbasis, mit der differenziertere Aussagen zur Lebenssituation von Migrant*innen im höheren und hohen Lebensalter getroffen werden können. In der Expertise werden die folgenden Teilhabedimensionen analysiert: (1) physische und psychische Gesundheit, (2) die sozioökonomische und soziale Situation und (3) die Teilhabe in weiteren Lebensbereichen.
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Gesundheit im Alter und deren Bedeutung für Teilhabe
Dr. Beate Gaertner, Dr. Judith Fuchs und Dr. Christa Scheidt-Nave (Robert Koch-Institut)
In der Expertise werden anhand von empirischen Daten verschiedene Zusammenhänge von Gesundheit und Teilhabemöglichkeiten von älteren und hochaltrigen Menschen aufgezeigt. Mit der bundesweiten Befragungs- und Untersuchungsstudie Gesundheit 65+ und der bundesweiten telefonischen Befragungsstudie GEDA 2019/2020-EHIS des Robert Koch-Instituts werden insgesamt 18 verschiedene Gesundheitsindikatoren ausgewählt und Gruppenunterschiede nach Alter, nach Geschlecht und nach Bildungsniveau dargestellt.
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Situation trans- und intergeschlechtlicher Menschen im Alter – Literaturrecherche und -analyse sowie Erfahrungen der Praxis
Annette Güldenring (Weddingsteet), Lucie Veith (Intergeschlechtliche Menschen e. V.) & Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voss (Hochschule Merseburg)
In dieser Expertise werden Ergebnisse zur Lebenssituation und sozialen Teilhabe von älteren trans* und inter* Personen vorgestellt. Die zusammengetragenen Inhalte beruhen auf einer umfassenden Literaturrecherche mit einem Fokus auf Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen sowie einer Deskription der gesundheitlichen Situation von trans* und inter* Personen. Ergänzt werden diese Ergebnisse durch Erfahrungswissen aus der Beratung und Psychotherapie, die auf langjähriger Berufserfahrung und langjährigem verbandlichem Engagement von inter* und trans*geschlechtlichen Personen beruhen.
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Teilhabe, ältere Migrant*innen und Rassismuserfahrungen
Dr. Min-Sung Kim (Gesellschaft für Psychosoziale Gesundheitsförderung bei Migrant/innen e.V.)
Im Fokus dieser Expertise stehen insbesondere ältere Migrant*innen der ersten Generation, die von den 1950er Jahren bis in die 1970er Jahre als sog. Gastarbeiter*innen oder Geflüchtete in die Bundesrepublik und von den 1960er Jahren bis in die 1980er Jahre als Vertragsarbeiter*innen in die DDR einreisten und nun in Deutschland altern. Die Expertise dient dazu, ein tiefergehendes Verständnis von Fragenstellungen zu rassistischen Erfahrungen zu schaffen und die Grundlage für zukünftige Strategien und politische Entscheidungen zu legen, die darauf abzielen, die soziale Partizipation und Gerechtigkeit für ältere Migrant*innen zu fördern. Denn der demografische Wandel und die daraus resultierenden Herausforderungen erfordern eine gesellschaftliche und politische Reaktion, um sicherzustellen, dass ältere Migrant*innen die Lebensphase des Alters gut integriert und gesund in der Aufnahmegesellschaft verbringen können.
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Armutsrisiken im Kontext von Übergang ins und Leben im Heim
Prof. Dr. Stefanie Richter (Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg)
Die Expertise befasst sich mit der Situation von älteren und hochaltrigen Menschen in der stationären Langzeitversorgung, die im Zuge eines Heimübergangs nicht nur Verluste ihrer Alltagsroutinen, gewohnten Lebenswelt und sozialen Bezügen erleben, sondern die aufgrund der mit dem Leben im Heim verbundenen Kosten(steigerungen) in eine prekäre Lebenslage geraten. Menschen im Heim trifft das Risiko einer „pflegebedingten“ Verarmung häufiger als in der Häuslichkeit. Diese Entwicklungen können pflege- und institutionell bedingte Verlusterfahrungen von Autonomie, Selbständigkeit und Teilhabe im Zuge des Übergangs und Lebens im Heim verschärfen.
Nach einer einführenden Darstellung der aktuellen Situation und Entwicklungen älterer und pflegebedürftiger Menschen in der stationären Langzeitversorgung werden auf Grundlage einer ethnographischen Studie zum Älterwerden und Leben mit chronischen Erkrankungen im Alter ausgewählte Phänomene beschrieben. Dabei wird das Erleben von Unsicherheiten und schwierigen Lebenslagen besonders im Kontext von Übergang und Leben im Heim in den Blick genommen. Anhand eines komprimierten Fallportraits werden die Verschränkungen diverser Dimensionen und Prozesse deutlich, die sich bereits im Leben abzeichnen und die in einem umfassenden Erleiden im Zuge des fremdbestimmten Heimübergangs und der erlebten Armut im Heim gipfeln.
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Lebenssituationen, Gesundheit und soziale Teilhabe älterer LSBTQI*-Menschen in Deutschland
Dr. Lisa de Vries und Zaza Zindel (Universität Bielefeld)
In dieser Expertise werden die Lebenssituation, Gesundheit und soziale Teilhabe älterer LSBTQI*-Menschen in Deutschland dargestellt. Die Expertise basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 2016-2021, einschließlich einer Aufstockungsstrichprobe mit LSBTQI*-Menschen im Jahr 2019. Zusätzlich werden die Daten aus zwei Online-Befragungen mit der LSBTQI*-Community (LGBielefeld 2019 und LGBielefeld 2021) aus den Jahren 2019 und 2021 für spezifische Einblicke in einzelne Subgruppen herangezogen. Die Ergebnisse der Analyse zeigen sowohl Unterschiede in den soziodemographischen Merkmalen und der familiären Situation zwischen älteren LSBTQI*-Menschen und älteren cis-heterosexuellen Menschen als auch bei einer Differenzierung nach Geschlecht innerhalb der LSBTIQ*-Community.
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Diskriminierung und Teilhabe im Hinblick auf Migrationserfahrungen von hochaltrigen Menschen: Ergebnisse der D80+-Studie
Dr. Judith Wenner und Andrea Albrecht (Universität zu Köln)
Ziel der Expertise ist es, Teilhabechancen und Hinweise auf Diskriminierung von eingewanderten im Vergleich zu in Deutschland geborenen Hochaltrigen in den Bereichen Bildung und Einkommen, Wohnen sowie Wertschätzung und Anerkennung zu analysieren. Um den Lebensverläufen heutiger Hochaltriger gerecht zu werden, wird – statt nach Migrationshintergrund – nach Migrationserfahrung bis und ab 1950 sowie nach unterschiedlichen Herkunftsregionen differenziert. Datengrundlage ist die Studie „Hohes Alter in Deutschland (D80+)“ mit 10.578 hochaltrigen Teilnehmenden unter Einschluss häufig ausgeschlossener Gruppen wie im Heim Lebende oder Personen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen an einer Befragung nur mittels Stellvertreter*in teilnehmen können.
Die Ergebnisse zeigen, dass 22 Prozent der Teilnehmenden nicht auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands geboren wurden. Für die Teilhabechancen zeigen sich eine geringere formale Bildung für Personen mit Migrationserfahrung vor und ab 1950, und für letztere auch ein geringeres Einkommen und höheres Armutsrisiko. Eine Betrachtung nach Herkunftsregionen zeigt ein sehr differenziertes Bild der Einkommensverteilung. Ab 1950 zugewanderte Hochaltrige wohnen häufiger zur Miete, in Mehrfamilienhäusern und Städten. Sie haben seltener Vertrauen in die Nachbarschaft und berichten häufiger, dass die Corona-Pandemie dieses Vertrauen negativ beeinflusst hat. Personen mit Migrationserfahrung fühlen sich seltener für ihre Lebensleistung wertgeschätzt. Angesichts der Vielfalt der Migrationserfahrungen erweist sich der Zusammenhang mit Teilhabechancen insgesamt als sehr heterogen.
Weitere Veröffentlichungen zum Neunten Altersbericht
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Lebenssituationen im Alter – Empirische Befunde. Tabellenband
Lisa Katharina Kortmann (Ostschweizer Fachhochschule)
In dem Tabellenband werden auf der Grundlage von Daten aus dem Deutschen Alterssurvey (DEAS)2020/2021 aktuelle Befunde zu grundlegenden Teilhabe-Dimensionen sowie Teilhabe-Voraussetzungen beleuchtet. Zum einen liegt der Fokus auf individuellen Ressourcen, welche für gesellschaftliche Teilhabe relevanten sind, zum anderen wird auf die tatsächlich erreichte Teilhabe von Menschen in der zweiten Lebenshälfte in Deutschland eingegangen. Insgesamt werden 48 Teilhabeindikatoren betrachtet. Davon stellen 27 Indikatoren individuelle Ressourcen beziehungsweise Belastungen dar, 21 Indikatoren bilden Dimensionen erreichter Teilhabe ab.